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Stern-Apotheke
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Gesundheitsthemen

Sucht als Gehirnerkrankung

Jeden Tag stehen wir auf, frühstücken, gehen zur Arbeit. Warum eigentlich? Warum tun wir überhaupt irgendetwas? Wir könnten ja auch den ganzen Tag faul in der Sonne liegen. Stattdessen mühen wir uns ab, Tag für Tag. Wir essen, wir trinken, wir pflanzen uns fort. Was treibt uns dazu? Die Antwort der Hirnforschung ist schlicht, aber bestechend: Weil diese Tätigkeiten im Gehirn unser „Lustzentrum“ aktivieren, den Nucleus accumbens. Dieser Knubbel von Nervenzellen tief in unserem Vorderhirn ist der Sitz des menschlichen Belohnungssystems. Es wird von Zellen im ventralen Tegmentum, einer Struktur im Mittelhirn, mit dem Botenstoff Dopamin stimuliert. Hat der Botenstoff an den ezeptor des Nucleus accumbens angedockt, sendet dieser Erregungspotenziale an andere Gehirnstrukturen, welche dann Zufriedenheit und Freude auslösen.

 

Aktiviert wird das Belohnungssystem durch alle möglichen Reize: Ein Drei-Gänge-Menü beim Italiener, ein heißes Date oder Sex verursachen zum Beispiel ein Glücksgefühl, aber auch Sport oder das Lächeln des eigenen Babys. Auf diese Weise werden wir angespornt, bestimmte Dinge ständig zu wiederholen. Entwickelt hat sich dieser Mechanismus wahrscheinlich, um uns zur Selbsterhaltung zu motivieren.

 

Das Belohnungssystem ist nicht nur beim Menschen vorhanden. Selbst der sehr einfach gestrickte Fadenwurm Caenorhabditis elegans, Lieblings-Labortier vieler Forscher, hat ein rudimentäres Motivationssystem. Zerstören Wissenschaftler bei dem Wurm nur eine Handvoll Nervenzellen, die Dopamin ausschütten, mcht das Tier für eine Bakterienmahlzeit keinen Umweg mehr. Und wer seinem Hund einen neuen Trick beibringt, indem er ihm für jedes erfolgreiche Kunststück einen Bissen zu essen gibt, der nutzt ebenfalls die Belohnungsmechanismen des Nucleus accumbens.

 

Der Mensch hat allerdings gelernt, den Weg zur neuronalen Belohnung abzukürzen: mit Zigaretten, Alkohol, einem Zug an der Crackpfeife oder einer Dosis Heroin, die er sich in die Venen spritzt. Die Drogen greifen auf unterschiedliche Weise in die komplexen Mechanismen des Lustzentrums ein. Kokain zum Beispiel hemmt direkt ein Dopamintransportersystem und führt so zu gesteigerten Transmitterspiegel im synaptischen Spalt.

 

Am Ende haben alle Drogen stets denselben Effekt: Die Zellen im Nucleus accumbens, die Dopamin-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche haben, werden stärker und länger aktiviert – und das Gehirn signalisiert: Belohnung. Weil Drogen unser Lustzentrum auf diese Art und Weise bis zu zehn Mal intensiver stimulieren als etwa Essen, sind sie ein mächtiger Motivator. Dass das bei Tieren ganz genauso funktioniert, haben Forscher schon vor 50 Jahren bewiesen: Sie gaben Ratten die Möglichkeit, per Hebeldruck Drogen direkt ins Blut zu injizieren. Die Ratten hatten auch noch zwei weitere Hebel im Käfig. Einer führte zur Infusion einer Salzlösung, mit einem dritten konnten sie Futter „bestellen“. Schon nach kurzer Zeit waren die Tiere süchtig, gaben sich je nach Versuch immer mehr Heroin, Kokain, Amphetamin. Irgendwann nahm die Sucht so überhand, dass die Ratten nicht einmal mehr fraßen, manche starben an Unterernährung. Tiere, deren Nucleus accumbens geschädigt war, lernten dieses Suchtverhalten nicht. Waren aber nur die Zellen geschädigt, die ohnehin nicht auf Dopamin reagieren, entwickelten die Tiere dennoch eine Sucht – ein eindeutiger Beweis für die Beteiligung des Botenstoffs an der Abhängigkeit.

 

Die Sucht hat auch auf neuronaler Ebene einen hohen Preis. Der Rest des Gehirns ordnet sich dem veränderten Belohnungssystem unter und der Abhängige beschäftigt sich nur noch damit, wie er die nächste Dosis seiner Droge beschafft. Freunde, Familie, Karriere treten in den Hintergrund. Gleichzeitig stellt sich ein fataler Nebeneffekt ein: Die Dosis muss häufig weiter erhöht werden, um denselben Effekt zu erzielen. Der Grund: Das Belohnungssystem stumpft ab und muss mit immer größeren Mengen der jeweiligen Substanz wieder wachgerüttelt werden. Der Abhängige gerät in eine zerstörerische Spirale, die ihn wie in einem Strudel hinabzieht.

 

Die enge Verknüpfung von Drogen und Belohnungssystem lässt sich auch mit bildgebenden Verfahren zeigen: Im Hirnscanner leuchtet bei einem Kokainabhängigen der Nucleus accumbens schon auf, wenn ihm seine Droge nur angeboten wird. Oder wenn er ein Video sieht, in dem jemand Kokain zu sich nimmt.

 

Drogen sind aber bei weitem nicht die einzigen Suchterreger. Zwanghafte Glücksspieler, denen Bilder eines einarmigen Banditen gezeigt werden, zeigen dieselbe Aktivierung im Nucleus accumbens. Und auch Arbeit, Sport, Computerspiele und das Internet haben Suchtpotential. Denn was im Gehirn eine Belohnung auslösen kann, birgt stets auch die Gefahr, abhängig zu machen. Das ist die fatale Nebenwirkung der Motivation: Eigentlich ist sie lebenswichtig. Doch wenn der Mensch lernt, das Motivationszentrum immer stärker zu stimulieren, kann er abhängig werden – mit langfristigen Folgen für das ganze Gehirn. Denn inzwischen wissen Forscher, dass der Nucleus accumbens nicht die einzige Hirnregion ist, die bei Sucht eine Rolle spielt: Die Amygdala ist wichtig für die emotionale Färbung der Erinnerung, der Hippocampus dafür, dass überhaupt eine Erinnerung abgelegt wird. Auch in diesen Regionen zeigen Drogenabhängige Veränderungen. Das erklärt, warum sie auch nach Jahren, in denen sie „clean“ waren, bei Stress oder durch eine einfache Erinnerung rückfällig werden können.

 

„Abhängigkeit ist eine Hirnkrankheit“, formuliert es Alan Leshner, langjähriger Chef des staatlichen Instituts für Drogenmissbrauch in den USA. Aber wie so viele Krankheiten hat die Sucht dazu beigetragen, dass Forscher lebenswichtige Mechanismen besser verstehen – in diesem Fall die Motivation und die Frage, warum wir uns für die unterschiedlichsten Dinge anstrengen.